Universität Bonn

Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik

Zur Bedeutung von Wertschätzung bei dem Umgang mit Unterrichtsstörungen

wertschätzendes Lehrer*innenverhalten im Unterricht; störungsanfälliger Unterricht; Lehrenden- und Lernendenbefragungen; Unterrichtsbeobachtungen; Trainings für angehende Lehrkräfte und praktizierende Lehrkräfte; verbales und non-verbales Lehrendenverhalten

Wissenschaftliche und soziale Relevanz des Themas sowie Ziele

Unterrichtsstörungen gehören zum schulischen Alltag und stellen eine große Herausforderung für Lehrende dar. Sie können sich, falls die professionelle Kompetenz, mit ihnen effektiv umzugehen, nicht erworben wurde, zu einem gesundheitlichen Risikofaktor entwickeln. Auch kann sich das Auftreten von Störungen im Unterricht negativ auf die LehrerInnen-SchülerInnen-Beziehung und das Lernen der SchülerInnen auswirken. Wie eine Lehrkraft sich verhalten sollte, um den eigenen Unterricht durch eigenes Verhalten nicht unnötig zu stören, wird in der Lehramtsausbildung verhältnismäßig wenig berücksichtigt (Nolting, 2002), woraus Belastungen im späteren Berufsleben resultieren können. Daher erscheint es gesamtgesellschaftlich relevant, sich vertieft mit dem Thema Unterrichtsstörungen auseinanderzusetzen. Das Thema sollte innerhalb der Forschung keiner Tabuisierung unterliegen. Um dem nachzukommen, widmet sich DU STÖRST! 2.0 dem Thema Unterrichtsstörungen. Unterrichtsstörungen werden jedoch in Wissenschaft und Praxis uneinheitlich definiert. Sie werden aus LehrInnenperspektive meist als Disziplinprobleme aufgefasst, denen die Lehrkraft durch eine effiziente Klassenführung entgegen zu wirken hat. Eine Unterrichtsstörung wird nach neuerem Forschungsstand aber maßgeblich durch die geteilte, relationale Bewertung der Lehrkraft und ihrer SchülerInnen innerhalb einer bestimmten Klasse definiert. Jedoch ist zur Aufschlüsselung des komplexen Beziehungs- und Interaktionsgefüges, das in schulischen Situationen zu Unterbrechungen führt, eine mehrperspektivische Erfassung notwendig, weshalb DU STÖRST! 2.0 beide Perspektiven (Lehrende und Lernende) berücksichtigt. Da zunächst eine neue Definition erarbeitet wurde, die fortlaufend anhand von Erhebungsdaten weiterentwickelt wird, trägt DU STÖRST! 2.0 zu einer Erweiterung des Forschungsstands bei.

Zielsetzung des Forschungsprojekts DU STÖRST! 2.0 ist, den empirischen Zusammenhang zwischen den Interpretationsmustern von Störungen bei Lehrkräften und bei Lernenden näher zu ergründen. Ausgehend von einer neuen Arbeitsdefinition des Konstrukts Unterrichtsstörung soll in dem Forschungsprojekt DU STÖRST! 2.0 fortlaufend exploriert werden, welche Interpretationsmuster sich hinter dem verbalen und non-verbalen Verhalten aller Beteiligten verbergen können und inwiefern diese in einem Zusammenhang stehen. Hierfür besitzt das Konstrukt Wertschätzung eine wichtige Bedeutung. Es soll exploriert werden, inwiefern Unterrichtsstörungen durch eine wertschätzende Kommunikation verringert werden können.

Um die geteilte Wahrnehmung des Unterrichtsgeschehens aus Lehrenden- und Lernendenperspektive näher zu ergründen, werden ausgewählte Bestandteile der Schüler*innenfragebögen und der Fragebögen für die Lehrkräfte aus der schweizerischen Studie von Makarova, Herzog und Schönbächler (2014) einer größeren Stichprobe von Schüler*innen der achten und neunten Jahrgangsstufe sowie ihren jeweiligen Fachlehrer*innen vorgelegt.

Forschungshypothesen

Die Forschungshypothesen lauten:

1. Geteilte Wahrnehmung: Die Wahrnehmung der Schüler*innen und ihrer Fachlehrer*innen hängt signifikant miteinander zusammen. Die Schüler*innen und ihre Fachlehrer*innen verfügen über eine geteilte, reziproke Wahrnehmung des Störungsgeschehens im Unterricht.

2. Unterschiede zwischen Viel- und Wenigstörerklassen: Die Wahrnehmung von Fachlehrer*innen aus Wenigstörerklassen unterscheidet sich signifikant von der Wahrnehmung von Fachlehrer*innen aus Vielstörerklassen. Die Hemmschwelle in Viel- und Wenigstörerklassen ist unterschiedlich ausgeprägt. In Vielstörerklassen ist die Hemmschwelle für wahrgenommene Störungen höher ausgeprägt als in Wenigstörerklassen, sowohl auf Lehrenden- als auch auf Lernendenseite.

3. Beziehung zur Lehrkraft: Die Wahrnehmung von Störungen steht in negativem Zusammenhang mit der Beziehung zur Lehrkraft. Je positiver die Beziehung eingeschätzt wird, desto weniger Störungen werden durch die Schüler*innen wahrgenommen. Je positiver die Beziehung zur Lehrkraft bewertet wird, desto weniger, gemessen an der Selbsteinschätzung des eigenen Störverhaltens sowie aggregiert über den Klassenverband, wird im Fachunterricht gestört. Beziehungsarbeit kann Störungen des Unterrichts vorbeugen.

4. Gemeinsam verbrachte Unterrichtszeit: Das Störungsausmaß steht in negativem Zusammenhang mit dem Umfang der gemeinsam verbrachten Unterrichtszeit, gemessen an dem Umfang des Fachunterrichts pro Woche. Je weniger Unterrichtszeit zur Verfügung steht, desto mehr Störverhalten, gemessen an den aggregierten Schüler*innenselbsteinschätzungen, tritt auf. Je mehr Unterrichtszeit zur Verfügung steht, desto weniger Störverhalten tritt auf.

6

teilnehmende Schulen

2

Förderungen eingeworben

2

Hilfskräfte

Unterrichtsbeobachtungen Phase 3

Im Anschluss daran sollen Unterrichtsbeobachtungen analysiert werden. Dabei sollen die unterschiedlichen Bedeutungsgehalte verbalen sowie non-verbalen Lehrkräfteverhaltens im Unterricht bei auftretenden Unterrichtsstörungen herausgearbeitet werden. Erwartet wird, dass in Vielstörerklassen mehr entmutigende Signale vorkommen als in Wenigstörerklassen. In Wenigstörerklassen sollte sich ein Zusammenhang mit ermutigenden Signalen zeigen.

Arbeitsdefinition

Zunächst muss jedoch eine Arbeitsdefinition von Unterrichtsstörungen hergeleitet werden, weil die existierenden Betrachtungsweisen des komplexen Geschehens im Unterricht unscharf und nicht hinreichend sind. 

Eine Unterrichtsstörung ist...

Eine Unterrichtsstörung ist immer dann gegeben, wenn Situationen im schulischen Kontext innerhalb einer Klasse von einer Lehrkraft und/oder ihren Lernenden als subjektiv störend bewertet werden. Einer der Interaktionspartner oder gar beide fühlen sich in der Verhaltensintention zu lehren bzw. zu lernen[1] beeinträchtigt. Als Folge daraus wird der Unterrichtsprozess unterbrochen.



[1] Es wird davon ausgegangen, dass die Voraussetzung auf Schüler*innenseite, die Verhaltensintention zu lernen, gegeben ist. Die Autorinnen sind sich dessen bewusst, dass dies nicht für alle Fälle anzunehmen ist.


Trainings für Lehrkräfte

Nach Abschluss der empirischen Studie sollen auf Grundlage der Forschungsergebnisse Trainingsbausteine (weiter-)entwickelt werden, die die angehenden Lehrkräfte zu einem störungssensiblen Verhalten animieren. Diese Trainingsbausteine können fortlaufend in der Lehrer*innenbildung eingesetzt werden.

Methodisches Vorgehen und Arbeitsplan

Angelehnt an den Mixed-Method Ansatz werden mithilfe von Unterrichtsbeobachtungen und Fragebogenerhebungen mit Lehrenden und Lernenden anhand von konkreten Unterrichtssituationen Bewertungen, die reziproken Wahrnehmungen sowie das darauffolgende Verhalten untersucht. Die Erhebung erfolgt in zwei Projektphasen über ein Schuljahr: Einer quantitativen Befragung von Lernenden (N = 4000) und ihren Lehrkräften der Schulfächer Mathematik und Chemie sowie Deutsch und Englisch anhand von weiterentwickelten Fragebogen sowie einer begleitenden Auswertung verbaler und non-verbaler Verhaltensweisen anhand von Unterrichtsbeobachtungen. Die Untersuchung konzentriert sich auf die achte und neunte Klasse, da Schülerinnen und Schüler dieser Altersstufe dazu in der Lage sind, über ihre Verhaltensweisen selbst zu reflektieren. 

Für die geplante Fragebogenerhebung muss der bereits in einer Pilotstudie (Ende 2019; Heyer & Standop, 2020) eingesetzte Fragebogen überarbeitet werden. Zudem muss Kontakt zu mehreren Schulen hergestellt werden. Daraufhin kann die Erhebung stattfinden. Nach Auswertung der Daten soll die Arbeitsdefinition aus DU STÖRST! 2.0 anhand der Ergebnisse weiterentwickelt werden und der Forschung zur Verfügung gestellt werden. Zudem sollen anhand von Unterrichtsbeobachtungen die unterschiedlichen Bedeutungsgehalte verbalen sowie non-verbalen Lehrkräfteverhaltens im Unterricht bei auftretenden Unterrichtsstörungen herausgearbeitet werden. Hier soll der Schwerpunkt auf entmutigendem und wertschätzendem Verhalten liegen, weil sich in der Pilotstudie signifikante Zusammenhänge zwischen der Variablen “Wertschätzung/Beziehung” und dem Auftreten von Unterrichtsstörungen fanden. Anhand der Ergebnisse soll ein Drittmittelantrag gestellt werden. Der Drittmittelantrag zielt auf die Evaluation von Trainingsbausteine für den Umgang mit Unterrichtsstörungen, die aus den Ergebnissen aus DU STÖRST! 2.0 entstanden sind, ab.


Verwendete Quellen

Heyer & Standop (2020). Unterrichtsstörungen aus Lehrenden- und Lernendenperspektive: Erste Ergebnisse des Forschungsprojekts „Du störst! 2.0“. Beitrag im Sammelband „Psychologiedidaktik und Evaluation XIII“, Salzburg.

Makarova, E., Herzog, W., Schönbächler, M.-T. (2014). Wahrnehmung und Interpretation von Unterrichtsstörungen aus Schülerperspektive sowie aus Sicht der Lehrpersonen. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 61, 127-140.

Nolting, H.-P. (2002). Störungen in der Schulklasse. Ein Leitfaden zur Vorbeugung und Konfliktlösung. Weinheim: Beltz.


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Camilla Heyer

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